Warum "Mama braucht Wein" NICHT witzig ist

„Mama braucht Wein“ – Warum dieser Satz kein Witz, sondern ein Symptom ist

Transkript:

Erinnerst du dich vielleicht an dieses Mütter-Video, das vor einer Weile überall geteilt wurde, was auch total viel nachgespielt wurde von diversen Influencerinnen?

Da wurde eine Mama gezeigt, die an einem kinderfreien Nachmittag oder einem kinderfreien Abend mit so einer Flasche Wein und mit Weingläsern durch den Garten läuft und die Flaschen und die Gläser so aneinander klingen lässt, so als Lockruf.

Und es kommen dann so aus den Ecken und hinter der Hecke hervor so andere kinderfreie Mamas, die sich dann offensichtlich schön zusammengepflegt einreinstellen.

Mama braucht Wein. Das klingt ja irgendwie wie Humor, klingt wie was zum Lachen, aber wenn wir ganz ehrlich hinschauen, dann ist es gar kein Witz, es ist vielmehr ein Hilferuf und vor allem ein Symptom dafür, wie überlastet wir sind, wie sehr wir gelernt haben, unseren Stress mit Substanzen oder mit irgendeiner Ablenkung zu überdecken.

Und das ist das, worüber ich heute in dieser Podcast-Folge gerne sprechen möchte.


Intro

Du hast deine Kids relativ spät bekommen. Du hast keinen Bock auf Perfektionswahn. Du willst trotz Schlafmangel und dem alltäglichen Mental Overload trotzdem deine Themen angucken, Konflikte mit deinen Liebsten am allerliebsten immer friedvoll lösen und bei all dem auch noch den Wechseljahren den Misshelfinger zeigen?

Yes, ich feier dich. Du bist hier sowas von richtig.


Mama braucht Wein – der Spruch

Mama braucht Wein. Du kennst den Spruch. Den gibt es auf Tassen, den gibt es auf T-Shirts, den gibt es in verschiedenen Memes, also als Videos.

Wir lachen drüber und warum lachen wir drüber? Weil wir uns irgendwie wiedererkennen und weil es auch so ein bisschen legitimiert, was wir tagtäglich abends zu Hause in unseren Küchen veranstalten, wenn wir uns beim Kochen schon das Glas Wein einschenken.

Mit Lachen können wir überspielen, was sich eigentlich tief drin mies anfühlt. Und ich glaube, das ist etwas, was bei den allermeisten Frauen tatsächlich da ist.

Ja, es ist, wir wissen eigentlich alle, dass es kein Witz ist, dieses Mama braucht Wein, ha ha ha, sondern, dass es ein Symptom einer kranken Gesellschaft ist, weil wir zu wenig Unterstützung erfahren als Familien, als Alleinerziehende, weil wir mit Care-Arbeit oft überfordert sind, allein dastehen.

Also wir spüren schon, dass das eigentlich nicht witzig und nicht cool ist.


Vom Witz zum Marketing-Narrativ

Und was auch draus geworden ist, ist halt Marketing. Also ein Marketing-Narrativ letztendlich, das mittlerweile Millionen Frauen weltweit beeinflusst.

Und das finde ich schwierig. Deswegen mag ich heute darüber reden, wie wir überhaupt gelernt haben, dass Alkohol ein Allheilmittel ist. gegen alles Mögliche.

Es ist ja ein Allheilmittel oder wird zumindest suggeriert, dass mit Alkohol eine ganze Menge geht.

Und warum das aber gerade auch für uns Frauenkörper ganz besonders dramatisch ist, welche psychologischen Fallen dahinter stecken und welche echten Wege es rausgibt aus diesem Hamsterrad, denn die gibt es.


Historischer Kontext – Alkohol war Männersache

Es gibt einen historischen Kontext. Also die eigentlich getrunken wurde in unserer Gesellschaft, zumindest in den letzten paar hundert Jahren der Industrialisierung auch.

Da kann man schon sagen, dass so bis in die 70er Jahre Alkohol eigentlich Männersache war. Bier gab es an Stammtischen, Schnaps war ein Symbol für Männlichkeit.

Stammtische waren ja sowieso auch etwas, wo Männerrunden zusammenkamen.

Ich weiß nicht, beobachtet ihr vielleicht heutzutage auch ab und zu noch? Ich zumindest beobachte das. Gerade hier auf dem Dorf ist es total oft so, dass wenn man irgendwo eingeladen ist, dass sich ganz oft Frauen und Männer trennen.

Dass es dann so einen Männertisch gibt und so einen Frauentisch. Und auch in den Kneipen der Stammtisch immer noch mehr Männer dominiert ist.

In den 70er Jahren war das total krass doll. Schnaps, Alkohol, Männer.

Frauen haben vielleicht mal so als hübsche Deko eine Nebenrolle gehabt in irgendwelchen Werbespots oder weil sie diejenigen waren, die die Drinks serviert haben.

Aber Frauen waren nicht Zielgruppe sozusagen.


Die 90er – Frauen werden zur Zielgruppe

Das kam erst in den 90er Jahren. In den 90ern hat sich tatsächlich die Frau als Zielgruppe der Alkoholindustrie erschlossen sozusagen.

Also die Industrie hat festgestellt, dass die Frauen ein echt lukrativer Markt sind.

Und darum geht es ja ganz oft, gerade bei Drogen, bei Alkohol, bei Zigaretten war es ja früher auch so, dass es einfach darum geht zu verkaufen. Es geht darum, Geschäft zu machen.

Also ich finde es ja immer noch total schräg, dass es diese skrupellosen Menschen gibt, die Zigaretten verkaufen, weil man einfach weiß, dass es krebserregend ist.

Genauso ist es mittlerweile auch beim Alkohol. Man weiß mittlerweile, dass auch schon geringste Mengen Alkohol gesundheitsschädlich sind.

Und trotzdem stehen die Supermärkte voll und es wird Werbung dafür gemacht.

Und es fing in den 90er Jahren an.

Also in den 90er Jahren hat es angefangen, dass die Alkohol-Lobby gecheckt hat, Frauen sind eine Zielgruppe.

Und dann gab es plötzlich süße Mischgetränke. Es gab Getränke, die in so Pastellflaschen waren, in kleinen Fläschchen, die so ein bisschen an Parfumflakons erinnert haben.

Also die Marketingbotschaft ging hin, dass es Alkohol gab von leicht, schick, weiblich.

Und das Ganze wurde auch noch untermauert durch Popkultur.


Popkultur und die Normalisierung

Erinnern wir uns mal an Sex and the City zum Beispiel. Das war ja 1998, glaube ich, über die Jahrtausendwende, wo die Mädels da Cocktails geschlürft haben, was für ein Lifestyle stand, für die Freiheit der Frau.

Genauso wie in Desperate Housewives, wo dort auch schon sehr der Weinkonsum zelebriert wurde von überlasteten Frauen, von überlasteten Müttern, dass das Weintrinken genutzt wurde als Ventil.

Und auch Bridget Jones zum Beispiel aus der Zeit, die ihren Liebeskummer in Chardonnay ertränkt hat.

Und wenn wir dann gucken, es hat sich einfach so weiterentwickelt, dass es heute den Joke Hashtag Wine Moms gibt, der knapp 100.000 Mal Treffer liefert, wenn man danach sucht, auf Instagram zum Beispiel.

Und es gibt eben diese Meme-Kultur, die da draus geworden ist.

Die Tassen, wo halt draufsteht, Mommy Juice zum Beispiel. Oder Shirts mit Rosé All Day. Oder wo draufsteht, zu Vino sage ich Nino. Oder tatsächlich auch einfach nur Mama Needs Wine.

Also das wird so als Joke, als Gag, als was Cooles verkauft, was sich tatsächlich halt einfach auch verkauft.

Und Studien zeigen tatsächlich, dass diese ganzen Inhalte diesen Alkoholkonsum bei Müttern normalisieren.

Das macht es normal. Uns wird es gezeigt an den verschiedensten Ecken, in Serien, in Filmen, in der Werbung, in diesen Memes, auf diesen T-Shirts, dass wir als Mütter, wenn wir damit immer wieder konfrontiert werden, immer mehr das Gefühl bekommen, ja, das ist normal.

Das macht ja jeder.


Selfcare oder Selbsttäuschung

Und da wird es nämlich wirklich gefährlich. Es ist Self-Care. Uns wird überall gesagt, wenn wir Mütter sind, die im Hamsterrad des Alltags unterwegs sind, dass wir Me-Time brauchen, dass wir darauf achten müssen auf uns, dass wir uns Zeit für uns nehmen müssen, dass es so wichtig ist, Self-Care zu betreiben.

Und wenn Self-Care dann plötzlich gleichgesetzt wird mit, ich mache mir meine Flasche Wein auf und trinke meinen Mami-Juice, dann ist es gefährlich, weil eben diese Flasche Wein nicht ungefährlich ist.

Ganz im Gegenteil. Alkohol ist ein Gift, auch schon in kleinsten Mengen. Und vor allem besteht die Gefahr der Abhängigkeit. Alkohol macht süchtig.

Und wenn wir anfangen, das als Self-Care zu routinieren, dann sind wir gar nicht mehr so weit davon entfernt, dass ich aus dem, ich trinke mal ein Glas Wein, weil habe ich mir ja verdient, weil gönne ich mir jetzt mal, schnell eine Routine wird und daraus dann vielleicht unterm Strich auch eine echte Alkoholabhängigkeit.

Also Mama braucht Wein ist 0,0 unser echtes Bedürfnis.

Das echte Bedürfnis hinter dem Glas Wein

Wir haben ein Bedürfnis, was wir damit betäuben. Es ist eher ein Mantra, was uns von der Alkoholindustrie eingetrichtert wurde, um das echte Bedürfnis zu unterdrücken.

Weil natürlich haben wir ein Bedürfnis, wenn wir uns nach Selfcare, nach Me-Time, nach Runterkommen, nach Entspannung sehnen. Aber das Bedürfnis ist in dem Moment nicht, ich trinke jetzt ein Glas Wein und dann geht es mir besser. Das Bedürfnis ist das Bedürfnis nach echter Ruhe, nach echter Entspannung.

Und das kann uns Alkohol halt einfach nicht nachhaltig geben. Ganz im Gegenteil.

Ich kann also sagen, wir Frauen sitzen da alle in einem Boot, wir sind Opfer. Und ja, nicht nur wir Frauen – wenn wir uns angucken, ist es halt etwas, was sowieso ein gesellschaftliches Riesenproblem ist in unserer kapitalistischen Welt, dass wir Opfer von Marketing sind, von Werbung und in diesem speziellen Fall eben von der Alkohollobby.

Es ist einfach so.


Was Alkohol mit Frauenkörpern macht

Was auch die wenigsten wissen, ist, dass Alkoholkonsum auch für uns Frauen nochmal viel dramatischer ist als für Männer.

Und das soll jetzt kein Plädoyer für die Männer sein, einfach munter weiter zu saufen – überhaupt nicht. Aber das, was Alkohol mit uns Frauenkörpern macht, das wurde in unseren patriarchalen Strukturen einfach viel zu lange gar nicht untersucht.

Das wusste man einfach lange nicht.

Heute wissen wir aber, dass es natürlich diese biologischen Unterschiede gibt zwischen einem Frauenkörper und einem Männerkörper.

Ein Frauenkörper hat zum Beispiel einen geringeren Wasseranteil und auch weniger Enzyme, die den Alkohol abbauen, was zur Folge hat, dass Alkohol in einem Frauenkörper höher konzentriert ist, also stärker wirkt und auch länger im Körper bleibt, nicht so leicht abgebaut werden kann.

Und die gesundheitlichen Risiken sind auch für uns Frauen nochmal andere, weil schon zehn Gramm Alkohol am Tag – das entspricht einem kleinen Glas Wein am Tag – das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, um sieben bis zehn Prozent steigert, um genau zu sein.

Und auch die Leber: Frauen entwickeln doppelt so häufig eine Leberzirrhose wie Männer bei der gleichen Trinkmenge.

Unser Herz-Kreislauf-System: Wir haben ein höheres Schlaganfallrisiko, und wir bekommen schneller Bluthochdruck durch Alkoholkonsum als die Männer.


Alkohol und die Wechseljahre

Und dann auch noch wir Late Moms – also ich zähle mich ja zu den spätgebärenden Müttern – ich habe meine Kinder mit 34, 35 und 40 bekommen.

In der Regel starten die ersten perimenopausalen Anzeichen mit um die 40. Also das ist bei mir schon zehn Jahre her.

Was macht jetzt Alkohol in den Wechseljahren?

Alkohol verstärkt die Hitzewallung, die Schlafstörungen, die depressiven Symptome. Also die schocken ja sowieso schon nicht. Mit Alkohol wird das Ganze noch verstärkt.

Und das Brustkrebsrisiko steigt in Kombination mit Östrogen noch weiter.

Und Alkohol wirkt wie ein Turbo für Östrogen im Körper. Er verhindert, dass es abgebaut wird, und steigert gleichzeitig die Produktion.

Das klingt erstmal harmlos. Wir wissen ja auch mittlerweile, dass auch bioidentische Hormontherapie nicht mehr mit Krebsrisiko einhergeht. Aber 70 % aller Brustkrebsarten sind durchaus hormonabhängig.

Das heißt, sie wachsen unter Östrogeneinfluss. Und dieses Glas Wein am Tag kann das Risiko spürbar erhöhen, weil eben wir genau in den Wechseljahren besonders anfällig sind für Schlafprobleme, für Stress.

Wir haben sowieso ein absolutes Hormonchaos in unserem Körper. Und Alkohol verstärkt nicht nur sowieso die Wechseljahresprobleme, die Wechseljahresbeschwerden, sondern der Alkohol erhöht insgesamt unser Krankheitsrisiko.

Also für Frauen ist Alkohol nicht der harmlose Feierabend-Kick. Wir zahlen einfach härter, schneller, mit höherem Risiko dafür.

Auch wenn uns eingeredet wird, der Mommy Juice, „Mom needs wine“, dass das alles total normal sei – das ist es nicht.


Die typischen Ausreden

Und ich weiß, wenn man das so hört, dann denkt man: „Ja, alles klar, weiß ich auch schon irgendwie. Ich trinke ja auch gar nicht so viel. Mein Konsum ist ja echt harmlos.“

Also das höre ich eigentlich von allen Menschen, mit denen ich darüber spreche.

Wir erzählen uns aber tatsächlich oft Lügen, um weiter trinken zu können, obwohl wir wissen, dass es schadet.

Also mit vielen Menschen, mit denen ich spreche, wenn ich dann sage, ich trinke gar keinen Alkohol, wird dann immer gleich: „Ja, ich trinke ja auch gar nicht so viel.“

Aber wie viel es dann wirklich ist – I don’t know.

Aber ich habe das Gefühl, dass es immer gleich so relativiert wird.

Es ist genauso wie mit dem veganen Essen. Ich bin seit mittlerweile über zwölf Jahren – ernähre ich mich überwiegend vegan.

Und wenn ich mit Menschen spreche und sage: „Ja, ich ernähre mich überwiegend vegan“, dann sagen die: „Ja, ich esse ja auch fast nie Fleisch.“

Und so ist es mit dem Alkohol halt auch.

„Ich trinke keinen Alkohol.“ – „Ja, ich trinke ja auch eigentlich nicht.“

Und damit ist dann gemeint, naja, das eine Glas Wein am Abend ist doch normal. Das macht halt jeder.


Die Schwierigkeit, ehrlich hinzuschauen

Es ist halt schwierig, sich ein Verhalten, was nicht gut ist, wenn man das selber hat, sich einzugestehen, dass man da wirklich ein Problem hat.

Das ist wie bei den Rauchern. Jeder Raucher weiß, dass das eigentlich total uncool ist, was er da macht.

Und wenn man fragt: „Warum machst du es dann?“, dann wird mit den Schultern gezuckt, weil – naja, ist halt eine Sucht, ist halt eine Gewohnheit, ist halt unbequem, sich mit der Frage zu beschäftigen: Warum mache ich es eigentlich?

Und es ist halt noch viel unbequemer, das tatsächlich auch bleiben zu lassen, weil das eben mit Anstrengung verbunden ist.

Veränderung ist immer mit Anstrengung verbunden. Es geht in der Regel nicht, indem man Finger schnippt und dann ist was anderes da.

Würde ich mir auch manchmal wünschen, aber so funktioniert es halt nicht.


Emotionale Gründe und die Schamspirale

Und es ist eben – das Alkoholtrinken fällt uns schwer, uns das einzugestehen. Und wir erzählen uns da gerne weiter Lügen drüber, weil wir natürlich zum einen trinken aus emotionalen, emotionellen Gründen.

Also viele trinken nicht, weil es schmeckt – darüber haben wir ja auch schon in der letzten Folge gesprochen –, sondern um Gefühle zu dämpfen, um Stress zu betäuben, um Einsamkeit nicht zu fühlen, um Wut im Schach zu halten, um kurz mal auszubrechen aus diesem Gefühl der Überforderung.

Also das ist emotionales Trinken ganz, ganz viel bei vielen Leuten.

Und dann kommen wir natürlich auch in eine Schamspirale, und Scham ist eben auch ein Gefühl, was wir nicht toll finden, und über unsere eigene Scham zu sprechen fällt uns halt auch unglaublich schwer.

Wir schämen uns halt.

Wenn man sich schämt, geht man nicht auf die Bühne und sagt: „So, passt mal auf, ich habe euch was zu sagen.“

Und das passiert beim Trinken ja auch ganz oft. Ich trinke, fühle mich für den Moment erleichtert, weil das, was ich nicht fühlen wollte, habe ich erfolgreich übertüncht sozusagen damit.

Dann vergeht aber die Zeit oder ich habe geschlafen, wache morgens auf, habe Schuldgefühle, schäme mich.

Die Scham führt wieder dazu, dass ich mich vermehrt gestresst fühle, dass ich mich unter Druck fühle, dass ich vielleicht auch wütend auf mich selber bin – und das betäube ich dann wieder, indem ich wieder zum Glas greife.

Und da kommen wir halt in so eine Scham-Spirale letztendlich.


Unsere Generationsprägung

Was auch mit reinspielt, dass es uns schwerfällt, dem Alkoholkonsum die kalte Schulter zu zeigen – vor allem Frauen in meinem Alter –, ist einfach unsere Generationsprägung.

Das darf man wirklich überhaupt nicht unterschätzen.

Also die Generation der späten Xer und frühen Yer sozusagen, also alle zwischen 1975 und 1985, 1990 geborene Frauen.

Wir wurden sozialisiert mit den Glaubenssätzen oder mit den Anforderungen an uns, dass wir brav sein sollen, dass wir gefallen sollen, dass wir Erwartungen zu erfüllen haben.

Wir haben kaum gelernt, Grenzen zu setzen, und für uns ist Alkoholkonsum so eine Art heimlicher Aufstand.

Also eigentlich, was wir wollen, ist Nein sagen zu den Erwartungen der anderen.

Wir wollen Nein sagen zu allen, die an uns zerren.

Aber weil wir das nicht gelernt haben und weil wir so groß geworden sind, dass wir das auszuhalten haben und dass das unsere Rolle als Frau nun mal ist, trauen wir uns nicht, das Nein nach außen zu geben an die, die es eigentlich adressieren sollte, sondern sagen Nein zu uns selbst, indem wir uns das Glas einschenken und sagen:

„Das ist meine Rebellion jetzt. Ich sage Ja zu dem Wein.“

Und so ein bisschen dieses „Arschlecken“ zu allen anderen in dem Moment – was eigentlich auch nur eine Verschiebung ist und auch überhaupt nichts mit der Bedürfnisbefriedigung zu tun hat von dem Bedürfnis, was eigentlich wirklich darunter steckt, nämlich zu lernen, Grenzen zu setzen, sich zu trauen, Nein zu sagen.


Neuropsychologie – was im Gehirn passiert

Und dann haben wir natürlich die neuropsychologische Variante oder den neuropsychologischen Aspekt, dass Alkohol eben macht, dass unser Belohnungssystem angesprochen wird, dass wir durch Dopamin das Gefühl haben, belohnt zu werden.

Dopamin wird ausgeschüttet durch Alkoholkonsum, dass wir durch GABA, den Transmitter im Gehirn, das Gefühl haben, wir werden kurzfristig beruhigt – oder wir werden auch kurzfristig beruhigt.

Da haben wir nicht nur das Gefühl, es passiert ja wirklich.

Aber eben: GABA wird angeregt durch Alkohol, Glutamat wird blockiert, das heißt, wir fühlen uns enthemmter und das fühlt sich für den Moment ganz gut an.

Langfristig aber tatsächlich auch nicht, weil es langfristig zum genauen Gegenteil führt.

Wenn wir uns immer wieder dieses Belohnungssystem aktivieren durch Alkoholkonsum, passiert langfristig, dass die natürliche Freude und die natürliche Motivation – weil wir haben das ja alles angelegt, wir brauchen, um Dopaminausschüttung zu haben, brauchen wir kein Alkohol – das können wir durchaus auch auf anderen Wegen erreichen.

Aber wenn wir das immer wieder durch Alkohol machen, also mit diesem Beschleuniger, mit dieser künstlichen Anregung, dann passiert eben, dass diese natürlichen Auslöser nicht mehr so stattfinden und dass einfach unsere natürliche Freude, unsere natürliche Motivation sinkt.

Also Alkohol ist kein Kredit auf Entlastung.

Alkohol ist ein sofortiger Kick mit krassen Zinsen, kann man sagen, die wir zahlen müssen, nämlich Müdigkeit, Schuld, Scham und ein ganzer Batzen gesundheitlicher Schäden, der da auf uns zukommen kann.


 

Warum wir Mütter besonders anfällig sind

Warum sind jetzt wir Mütter besonders anfällig für den Griff zum Glas?

Zum einen ist es der Mental Load. Frauen leisten durchschnittlich knapp 30 Stunden unbezahlte Care-Arbeit pro Woche. Männer nur 8.

30 Stunden – das ist fast ein Full-Time-Job, den wir einfach neben unserem Full-Time-Job ja meistens nochmal ebenso mitleisten. Ganz oft ohne, dass es jemand dankt.

Insofern ist es natürlich doppelt bitter. Wir Alleinerziehende sind zu 42 % einkommensarm. Das heißt, wir kratzen an der Armutsgrenze, was natürlich zu noch mehr Mental Load führt, weil in diesem Mental Load eben auch noch oft Existenzängste drin sind.

Wir befinden uns im Dauerstress, wir gönnen uns kaum Pausen, wir können uns auch oft einfach keine Pausen nehmen.

Denn wann denn noch, wenn wir Vollzeit arbeiten, noch 30 Stunden Care-Arbeit die Woche machen – wir Alleinerziehenden ja sogar noch mehr als diese 30 Stunden, weil wir haben nicht mal die Männer, die die 8 Stunden übernehmen.

Wir haben wenig Netzwerke heutzutage, so wie wir leben. Es gibt dieses Dorf nicht mehr, von dem so oft gesprochen wird, dass es eigentlich bräuchte, um Familie, Kinder gut großzuziehen.

Familie meine ich eben auch, dass es ja oft nicht nur Kinder sind, die man hat, sondern gerade wir Spätmütter haben oft auch noch Eltern, um die sich auch gekümmert werden muss, weil das Älterwerden ja oft auch damit einhergeht, dass die Eltern auch wieder betreuungsintensiver werden.

Und das Ganze ohne das Dorf alleine zu wuppen, ist einfach eigentlich nicht bewältigbar für eine Person allein – ist es nicht.


Dauer-Erreichbarkeit und struktureller Stress

So, die 24/7-erreichbaren Tage kommen natürlich auch noch dazu.

Also nicht nur, dass wir sowieso schon extrem viel zu leisten haben, um überhaupt über die Runden zu kommen. Wir haben uns dann auch selber ein Problem geschaffen mit WhatsApp, mit Social Media, mit E-Mails auf dem Handy.

Wir sind einfach ununterbrochen erreichbar, auch für unsere Arbeitgeber, was eben oft auch nochmal zu mehr Stress führt.

Wir haben wenig Unterstützung in der Gesellschaft. Es ist ein strukturelles Problem, was es gibt. Und ja, gerade wir Frauen mit Kindern, allein begleitend, leiden oft darunter.

Und auch wir Frauen haben nur 24 Stunden am Tag – und ich finde, wenn ich da so drüber rede und auch drüber nachdenke, erschöpft es mich eigentlich schon beim Drüber-Nachdenken und Drüber-Reden.

Also die Realität sieht da nochmal echt ganz anders aus.


Die soziale Normalisierung des Trinkens

Was jetzt passiert ist in diesem ganzen Social Dilemma letztendlich, dass wir eine soziale Normalisierung des Alkoholkonsums erfahren haben, weil oft Alkohol – das Glas Wein – als einziger Ausweg oder auch als so schnelle Lösung sich anfühlt manchmal.

Ja, da gibt es Elternabende, wo in den Kaffeebecher Wein oder Prosecco reingefüllt wird, damit man es überhaupt erträgt.

Es gibt Prosecco bei Kindergeburtstagen. Wer nicht trinkt, gilt als Spielverderberin.

Also wir tun so, als ob das was mit Selfcare zu tun hätte.

In Wahrheit haben wir gelernt, uns selbst ruhigzustellen, uns selbst auszunocken – und zwar mit Alkohol.


Was wir stattdessen brauchen

Was wir bräuchten, wären nachhaltige und vor allem aber auch alltagstaugliche, praxis-funktionierende Entspannungsstrategien.

Es ist ja nicht so, dass es sie nicht gäbe. Die sind aber eben meistens mit Aufwand verbunden.

Und wenn es nur der Aufwand ist: Ich muss mir meine Joggingschuhe anziehen, ich muss vor die Tür gehen, ich muss jetzt eine halbe Stunde meinen Körper bewegen – das ist anstrengend.

Oder: Ich muss mich noch ins Auto setzen oder in die Bahn oder aufs Fahrrad und in den Sportverein fahren.

Oder auch schon nur ein „Ich muss mir am Handy kurz eine Meditation raussuchen und die dann auch noch machen“.

Das ist ja alles nicht annähernd so verlockend, wie sich einfach auf die Couch fallen zu lassen, Serie anzuschmeißen, Glas Wein in die Hand und Kopf ausmachen.

Das Problem ist halt nur, der Preis, den wir zahlen, der ist halt immens, weil wir spätestens am nächsten Morgen die Quittung dafür kriegen.

Und die ist eben nicht: „Boah, ich fühle mich super, weil ich war gestern Abend noch beim Yoga oder habe eine Meditation gemacht und war vorher joggen“, sondern die Quittung ist: „Ich wache auf mit einem Kopf, der sich anfühlt wie in Watte getunkt, ich habe ein schlechtes Gewissen, ich schäme mich, dass ich wieder getrunken habe, ich bin nicht ich selbst, ich ranze meine Kinder an.“

Also der Rattenschwanz, der da dranhängt, wenn wir diesen schnellen Weg der vermeintlichen Selfcare-Geschichte gehen, der ist halt groß – und der ist so ein bisschen der rosa Elefant, der mitten im Raum steht, um den man so rumschlawenzelt und um den man sich nicht kümmern will, weil es anstrengend ist, diesen Elefanten aus der Bude zu kriegen.

Aber es ist machbar.


Die wichtigste Frage

Die wichtigste Frage, die du dir dafür stellen darfst, ist:
Wovor fliehe ich gerade, wenn ich mir ein Glas einschenke?

Wovor fliehe ich gerade?

Das bringt mehr Klarheit als jeder Schluck Alkohol.


Soforthilfe: Atem und Musik

Atemübungen machen.

In dem Moment, wo du das Gefühl hast, ich möchte jetzt ein Glas Wein trinken oder ein Glas was auch immer oder eine Flasche Bier oder keine Ahnung – mach eine Atemübung.

Mach erstmal eine Atemübung.

Jedes Mal, bevor du ein Glas Wein trinkst.

Das kann schon eine ganze Menge verändern und vielleicht schenkst du dir jedes zweite Glas dann schon mal nicht ein. Kann helfen.

Oder jedes Mal, wenn du sagst, ich brauche jetzt echt einen Drink, sag dir: „Ach so, ja, nee, stopp, ich brauche keinen Drink, ich brauche meinen Lieblingssong laut und mal kurz eine Runde hemmungslos abdancen.“

Auch wenn du das schaffst zu routinieren, bin ich von überzeugt, dass du es schaffst, mindestens jedes zweite Glas, was du eigentlich hättest trinken wollen, nicht mehr zu trinken.


Wir brauchen Nein-Training

Und wir Frauen aus unserer Generation – 1975 bis 1985, 1995 geboren – wir brauchen Nein-Training.

Das brauchen wir ganz dringend.

Wir dürfen lernen, Nein zu sagen.

Nein, heute passt es mir nicht.
Nein, das kann ich gerade nicht übernehmen.
Nein, ich schaffe es diesmal nicht, noch drei Kuchen zu backen.

Das bringt uns insgesamt mehr Selbstwirksamkeit.

Es bringt uns weniger Bedürfnis nach diesem falschen Nein durch den Alkohol, von dem ich vorhin schon gesprochen habe.


Wir brauchen soziale Unterstützung

Und wir brauchen soziale Unterstützung.

Klar, wir werden das Dorf nicht zurückbekommen, in dem früher die Familien miteinander gelebt haben.

Aber man kann sich organisieren, man kann sich mit anderen Müttern zusammentun, wenn man da Bock drauf hat.

Manchmal hilft auch schon nur eine Online-Community, eine WhatsApp-Gruppe mit ein paar Leuten, in der man sich austauschen kann.

Also Studien zeigen, dass Menschen mit Community eine 50 % höhere Chance auf nachhaltige Abstinenz haben, zum Beispiel – ja, also gerade beim Thema, wenn du sagst, du möchtest weniger Alkohol trinken – auch dafür sich Unterstützung, ein Netzwerk Menschen suchen, eine WhatsApp-Gruppe suchen mit Menschen, die gleichgesinnt sind.

Und da gibt es natürlich unterschiedliche Formen.

Also klar kann man sich für jedes Thema eine Gruppe suchen.

Man kann sich aber auch mit seinen zwei besten Freundinnen vielleicht zusammentun und sagen, hier, das wird so eine Austauschgruppe.

Hier können wir uns mal auskotzen. Hier können wir füreinander da sein. Hier können wir um Hilfe bitten.

Ja, das ist auch ein Riesenthema.

Um Hilfe bitten ist kein Zeichen von Schwäche. Um Hilfe bitten ist ein Zeichen von Stärke.

Auch das dürfen wir Frauen lernen.


Neue Rituale

Und neue Rituale schaffen ist eben auch ganz wichtig.

Was kann ich abends stattdessen tun?

Eine Badewanne nehmen, meine Gedanken aufschreiben, eine lange WhatsApp-Nachricht sprechen, meinetwegen mir selbst, wenn ich sonst auch erstmal niemanden habe, die ich mir dann nächsten Morgen anhöre zum Beispiel.

Ich kann spazieren gehen, ich kann barfuß draußen den Boden spüren, mich erden.

Ich kann ein Waldbad nehmen, in den Wald gehen – also Natur senkt ganz natürlich die Stresshormone, ohne dass man schlückchenweise Gift in sich reinschlucken muss.


Echte Self-Care

Also, Self-Care heißt nicht etwas in dich reinkippen.

Self-Care heißt eigentlich etwas loslassen, etwas abgeben – Lasten, Erwartungen und das Gefühl, alles allein tragen zu müssen.

Das musst du nicht.

Ganz, ganz wichtig.


Fazit

Also, „Zu Vino sage ich Nino“ oder „Mama braucht Wein“ – das sind keine lustigen Sprüche.

Es ist ein kulturelles Symptom. Es ist etwas, was uns krank macht.

Echte Self-Care bedeutet, wirklich hinzusehen, hinzuspüren, hinzufühlen und auch seine Grenzen wahrzunehmen – zu fühlen erstmal, wo sind eigentlich meine Grenzen – und dann für diese Grenzen auch einzustehen.

Das ist unbequem, ja. Das ist ein Weg, der nicht immer Spaß macht – nö.

Aber es ist der einzige Weg, der uns wirklich nachhaltig stärkt und der für uns, für unseren Körper, für unser Leben gesund ist.

Und wenn wir das schaffen, das zu leben, dann leben wir das ja auch unseren Kindern vor.

Und damit machen wir nicht nur uns in dem Moment, wo wir es für uns umsetzen, sondern auch unseren Kindern und der Zukunft unserer Kinder ein riesengroßes Geschenk.


Schlusswort & Aufruf

Ja. Ich hoffe, dass du was mitnehmen konntest aus dieser Folge.

Komm total gerne in die Community auf Instagram oder auch in den Telegram-Kanal.

Lass uns connecten. Hier können wir in einem Rahmen durchaus schon mal Netzwerken füreinander da sein, uns unterstützen, uns empowern, uns zuhören – das ist ja oft auch schon die halbe Miete.

Und vor allem: Du bist nicht alleine. Das darfst du nie vergessen.

Wir sind viele – und wenn wir uns zusammentun und den Weg gemeinsam gehen, dann gibt es nichts, was wir nicht schaffen können.

Danke, dass du dabei warst.

Teile die Folge total gerne, wenn du das Gefühl hast, dass vielleicht eine andere Mama das auch gut mal hören kann.

Es ist ein schambehaftetes Thema. Es braucht den Weg in die Sichtbarkeit – und dafür brauche ich deine Unterstützung, weil so funktioniert es nun mal.

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Und ich glaube, das ist einfach ein Thema, was noch so, so viel mehr in die Öffentlichkeit darf – und für unsere Kinder muss.

Ja, also – ich danke dir von ganzem Herzen. Bis zum nächsten Mal. Alles Liebe, deine Inga.




Folge # 11 – Warum das #winemom Meme alles andere als lustig ist.

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