Abschied vom Familienbett – nach 16 Jahren Einschlafbegleitung
Im Transkript mitlesen:
Stell dir vor, du hast 16 Jahre lang jeden Abend eine Hand gehalten oder manchmal auch einen Fuß oder eine Wange gestreichelt oder einfach nur daneben gelegen – und plötzlich ist es vorbei. Ende Gelände. Schluss mit lustig. Ei, ei, ei. Genau darüber spreche ich heute.
Du hast deine Kids relativ spät bekommen. Du hast keinen Bock auf Perfektionswahn. Du willst trotz Schlafmangel und dem alltäglichen Mental Overload trotzdem deine Themen angucken? Konflikte mit deinen Liebsten am allerliebsten immer friedvoll lösen und bei all dem auch noch den Wechseljahren den Mittelfinger zeigen? Yes, ich feier dich. Du bist hier sowas von richtig.
Heute geht es um einen sehr persönlichen Abschied, denn nach 16 Jahren Einschlafbegleitung ist jetzt tatsächlich bei mir hier zu Hause auch das letzte Kind aus dem Familienbett ausgezogen. Es ist ein Kapitel, das endet, und ich mag dir erzählen, wie schön das ist – aber auch, wie traurig zugleich.
Wie alles begann – unser Weg zum Familienbett
Ich habe drei Kinder, und ich arbeite ja auch seit vielen Jahren als Schlafcoach. Für manche ist es ein bisschen schwer zu verstehen, aber meine Kinder haben fast immer bei mir geschlafen. Zwischendurch gab es mal Versuche, die Kinder in ihren eigenen Betten schlafen zu lassen – auch als sie noch sehr klein waren, also so mit einem Jahr oder anderthalb. Meine Jungs sind nur anderthalb Jahre auseinander, da gab es mal eine Zeit, in der wir versucht haben, dass die beiden zusammen in einem Zimmer schlafen.
Aber eigentlich sind diese Versuche alle früher oder später gescheitert. Sie haben die Nächte anstrengender gemacht, als sie es waren, wenn wir zusammen geschlafen haben. Deshalb sind wir früher oder später immer wieder zurückgeswitcht zum Familienbett.
Beziehungsweise – Familienbett kann man eigentlich gar nicht so genau sagen. Familienbett bedeutet bei den meisten Familien tatsächlich, dass die Mama mit den Kindern im Elternschlafzimmer oder im Elternbett schläft und der Papa im Kinderzimmer, im Gästezimmer oder auf der Couch. Das ist oft das, was gemeint ist, wenn man sagt: Wir schlafen im Familienbett.
Warum Sicherheit wichtiger war als Regeln
Ich wurde natürlich oft gefragt: Wieso schlafen deine Kinder erstens nicht durch – und zweitens nicht in ihren eigenen Betten? Sie haben doch eigene Zimmer, so tolle Betten. Warum schlafen sie da nicht? Heute empfinde ich diese Frage als übergriffig. Und genau das sage ich auch in meinen Beratungen: Wenn ihr euch fürs Familienbett entscheidet, dann ist das völlig in Ordnung. Die Entscheidung, ob Familienbett ja oder nein, trifft jede Familie für sich. Nicht die Schwiegermutter, nicht die Oma, nicht der Vater oder die Frau beim Bäcker.
Bei uns war es dann so, dass irgendwann der Papa der Kinder ausgezogen ist – und dann war sowieso alles anders. Da bin ich dann mit den Kindern ganz bewusst wieder zusammengezogen – also zusammen in ein Schlafzimmer, zusammen in ein Bett. Wir hatten so eine Liegewiese, eine Matratzenlandschaft, ein großes Palettenbett.
Die Kinder brauchten das – und ich brauchte das auch. Nicht, weil ich meine Kinder brauchte, um etwas zu kompensieren, sondern weil ich ihnen signalisieren wollte: „Ich bin da. Ich bin die ganze Nacht da. Ich halte dich. Du bist sicher.“ Und ich habe gemerkt, dass meine Kinder das sehr gebraucht haben.
Es war meistens so, dass ich zwischen zwei Kindern lag und rechts und links eine Hand in meiner Hand hatte. Und manchmal hatten wir am Fußende noch eine Matratze, weil der Platz nicht reichte, und da lag dann ein Kind, das meine Wade oder meinen Fuß berührte. Und das hat mir gezeigt: Schlafen hat ganz viel mit Sicherheit zu tun.
Meine Kinder brauchten Sicherheit, um gut schlafen zu können – und das war das, was wir alle in dem Moment brauchten. Wir waren ein neues Familiensystem. Und das war unser Rettungsanker. Einschlafritual, Nachtverbundenheit, ein Ort, an dem keiner allein war mit seinem Schmerz. Und für mich bedeutete das, dass ich keines meiner Kinder allein lassen musste mit seinem Schmerz.
Familienbett als sicherer Hafen
Ob nun Trennung oder nicht – das Familienbett hat Vorteile. Es gibt, egal in welcher Situation man sich befindet, emotionale Sicherheit und stärkt die Bindung. Und es muss gar keine Trennung sein: Es kann auch der Übergang in die Krippe, die Schule, eine Krankheit oder einfach eine Umbruchphase sein.
Diese Abende, an denen ein Kind in meinem Arm lag und einfach wusste: Mama ist da – die waren für uns alle wichtig. Ich habe in dieser Zeit auch beobachtet, dass die Kinder besser schliefen, wenn wir zusammen schliefen. Zumindest hatte ich das Gefühl, dass sie besser schliefen – und ich definitiv besser, weil ich nicht ständig aufstehen musste.
In der Zeit, in der ich versucht habe, dass die Jungs zusammen schlafen, war es nämlich oft so: Gegen Mitternacht rief das erste Kind „Mama!“, und ich bin losgelaufen. Kaum war das Kind wieder eingeschlafen, rief das zweite. Also zwei, drei Unterbrechungen pro Nacht. Im Familienbett war das anders. Wenn sie wach wurden, sahen sie mich, spürten mich, fühlten sich sicher – und drehten sich einfach um und schliefen weiter.
Das machte die Nächte für uns alle erholsamer.
„Wie sollen sie denn jemals selbstständig schlafen?“
Die größte Sorge vieler Eltern lautet: „Wenn die Kinder erst im Familienbett schlafen, kriegt man sie da nie wieder raus.“ Und: „Sie müssen doch lernen, selbstständig zu schlafen.“
Heute weiß ich: Das stimmt nicht. Selbstständigkeit entsteht nicht dadurch, dass Kinder früh lernen, alles allein zu machen. Sie entsteht durch Bindung, durch Nähe, durch ein Sattsein an Verbindung. Wenn der Bindungstank gefüllt ist, werden Kinder von selbst selbstständig.
In anderen Kulturen ist das völlig selbstverständlich. In Japan, Korea, Lateinamerika oder in vielen indigenen Gemeinschaften schlafen Familien gemeinsam – es ist normal, nicht exotisch. Es ist eher eine westliche Idee, dass Kinder allein schlafen müssen, um stark zu werden.
Gerade in Übergangsphasen – Trennung, Krankheit, Kindergartenstart – kann das Familienbett ein Schutzfaktor sein. Und ja, es steht auf der Liste der Risikofaktoren für den plötzlichen Kindstod. Aber das ist kein Verbot, sondern ein Hinweis, achtsam zu sein. Wichtig ist, die Risikofaktoren zu kennen und auszuschließen: kein Alkohol, keine Drogen, kein Rauchen, keine zu dicken Decken, keine Kissen, keine Überhitzung. Dann ist gemeinsames Schlafen sicher.
Und – das sage ich deutlich – Sober Parenting hilft hier enorm. Wenn Eltern nüchtern schlafen gehen, kein Alkohol, keine Beruhigungsmittel, kein THC im Spiel ist, ist das Familienbett eine sichere, nährende Umgebung.
Die Schattenseiten
Natürlich hat das Familienbett nicht nur Vorteile. Die Schlafqualität kann leiden – besonders, wenn Kinder unruhig schlafen oder nachts viel strampeln. Ich erinnere mich gut an kleine Füße in meinem Gesicht oder an Nächte, in denen ich an den Bettrand gedrückt wurde.
Es ist auch nicht für alle angenehm, so eng beieinander zu schlafen. Und Partnerschaftszeit – ja, Intimität – kann darunter leiden. Aber man kann kreativ werden. Das Familienbett ist nicht der einzige Ort im Haus, an dem Nähe möglich ist.
Was ich allerdings als viel belastender empfand, war der gesellschaftliche Druck. Diese Kommentare: „Was, die Kinder schlafen immer noch bei dir?“ oder „Das ist doch nicht normal.“ In unserer Kultur ist das Familienbett immer noch mit Intoleranz belegt.
In vielen anderen Teilen der Welt ist es genau andersherum: Dort ist das gemeinsame Schlafen die Regel. Nur wir hier denken, Kinder müssen allein schlafen, um selbstständig zu werden. Ein absoluter Irrglaube. Denn Schlaf ist keine erlernte Fähigkeit. Schlaf braucht Sicherheit.
Wann Kinder wirklich ausziehen
Die größte Angst vieler Eltern ist: „Wenn mein Kind jetzt nicht allein schläft, wird es das nie tun.“ Auch das ist ein Mythos. Wenn Kinder körperlich und psychisch gesund sind, ziehen sie aus. Immer.
Manchmal mit vier oder fünf Jahren, manchmal erst mit acht oder neun, manchmal mit Beginn der Pubertät – aber sie gehen. Und sie kommen auch nicht wieder zurück.
Bei mir war es so: Die Jungs sind mit Beginn der Pubertät ausgezogen. Von heute auf morgen. Sie wollten ihr eigenes Zimmer. Und sie sind nie wieder zurückgekommen.
Ein einziges Mal gab es ein Revival – als wir alle krank waren. Ich hatte Gürtelrose, die Kinder Windpocken. Wir waren krank, erschöpft, zusammen. Wir hatten unseren Ofen an, es war Winter. Und ja, es war höllisch anstrengend – aber rückblickend war es eine schöne, gemütliche Zeit. In der Erinnerung meiner Kinder war das sogar eine der schönsten Zeiten. Wir waren verbunden. Wir waren beieinander. Wir waren wie eine kleine Steinzeitfamilie am Lagerfeuer.
Wenn die Jüngste auszieht
Und jetzt ist meine Jüngste fast zehn – und sie sagt: „Ich glaube, ich ziehe jetzt aus. Ich ziehe in mein eigenes Bett.“ Und ich merke: Oh shit. Ich will sie natürlich nicht festhalten. Aber ich merke, ich will es auch nicht wirklich loslassen.
Weil mir bewusst ist: Das ist ein Abschied für immer. Es ist mein jüngstes Kind, und es ist dann einfach vorbei. Diese Ära endet. Eine Zeit, die so viele Jahre Teil unseres Lebens war, ist vorbei.
Es gibt so viele Momente in der Elternschaft, die man verpasst, weil sie schleichend geschehen. Man merkt gar nicht, wann etwas zum letzten Mal passiert. Wann hast du dein Kind zum letzten Mal getragen? Zum letzten Mal gefüttert? Zum letzten Mal die Schuhe angezogen? Oder den Po abgewischt?
Manchmal wünschte ich, ich hätte diese Momente bewusster wahrgenommen. So, als könnte man die Zeit anhalten und ein inneres Erinnerungsfoto machen. Aber meistens rauschen diese kleinen Abschiede einfach vorbei.
Und dieser Auszug aus dem Familienbett – der fühlt sich groß an. Ich will ihn bewusst erleben. Nach 16 Jahren endet diese Ära.
Ein sicherer Raum – und warum er bleiben darf
Was bleibt, ist Dankbarkeit. Für 16 Jahre Nähe. Für 16 Jahre Händchenhalten, Füßchen suchen, Atemzüge im Takt. Für das Gefühl von Sicherheit.
Und ich mag dir mitgeben: Wenn du im Moment noch im Familienbett schläfst, hab keine Angst. Es ist ein sicherer, schöner Raum. Es ist Ausdruck von Vertrauen. Nähe kann heilsam sein.
Und irgendwann, ganz sicher, geht dein Kind. Und im besten Fall, weil es sich sicher genug fühlt, nicht weil du es rausgedrängt hast.
Das ist vielleicht das größte Geschenk, das wir ihnen machen können: dieses Gefühl von Sicherheit.
Aber wenn du spürst, dass Familienbett nichts für dich ist – dann ist das genauso richtig. Jede Familie ist anders. Jede Familie darf ihren Weg finden.
Für uns war es der richtige. Und jetzt ist diese Zeit vorbei. Und ja, es berührt mich. Vielleicht auch, weil ich älter bin, weil ich spät Mutter geworden bin. Ich merke, dass mich solche Abschiede heute tiefer berühren als früher.
Vielleicht geht es dir ähnlich. Vielleicht hast du auch ein Kind, das gerade auszieht – aus dem Familienbett oder einfach aus einer Phase. Dann fühl dich umarmt. Wir alle kennen diese bittersüßen Abschiede.
Ich freue mich, wenn du mir schreibst, wie es bei euch war oder ist. Schlaft ihr im Familienbett? Seid ihr schon raus? Wie war der Abschied für euch? Schreib mir gern auf Instagram unter @menschmuddi_podcast.
Und wenn dich das Thema Familienbett noch tiefer interessiert, findest du hier noch ein paar weiterführende Quellen und Links:
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): https://www.kindergesundheit-info.de/themen/schlafen/
Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM): https://www.dgsm.de
Journal of Sleep Research – „Co-Sleeping in different cultures“ (2019, Wiley Online Library): https://onlinelibrary.wiley.com/journal/13652869
Ich freue mich, wenn du diese Folge teilst, wenn du sie likest oder kommentierst – oder einfach einer anderen Mama schickst, die vielleicht gerade auch mit mehreren Händchen und Füßchen im Bett liegt.
Bis nächste Woche. Alles Liebe – deine Inga.
Wer schreibt hier?
Hi, ich bin Inga.
Ich begleite Mütter, die immer alles wuppen, aber sich selbst dabei verlieren – ihre unbewussten Stress- und Konsummuster zu verstehen und nachhaltig zu verändern. Als Frau, die selbst durch die Konsum-Grauzone gegangen ist, weiß ich: Nüchternheit und bewusstes Leben sind keine Einschränkung, sondern der Anfang echter Freiheit.
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Dozentin SleepMaster Academy
