Folge 3 - was ist gewaltbewusste Elternschaft?

Gewalt in der Erziehung – warum wir alle hinschauen müssen

 

Im Transkript mitlesen: 

Gewalt und Erziehung? Für viele ist ganz klar: Nee, bei mir nicht. Ich schlage mein Kind doch nicht. Deswegen findet in meiner Erziehung keine Gewalt statt. Aber Gewalt in der Erziehung ist viel, viel mehr als nur „Ich schlage mein Kind“ oder „Ich schlage es nicht“. Ich sage: Erziehung ist gewaltvoll. Per se. Auch wenn uns das oft gar nicht so bewusst ist. Und genau darüber mag ich heute reden.

Für wen ist diese Folge?

Du hast deine Kids relativ spät bekommen? Du hast keinen Bock auf Perfektionswahn? Du willst trotz Schlafmangel und dem alltäglichen Mental Overload trotzdem deine Themen angucken? Konflikte mit deinen Liebsten am allerliebsten immer friedvoll lösen und bei all dem auch noch den Wechseljahren den Misshilfenjahr zeigen? Yes, ich feier dich. Du bist hier sowas von richtig.

Heute wird’s ehrlich – und ein bisschen unbequem

Hallo, schön, dass du da bist. Heute wird es ehrlich und vielleicht auch ein kleines bisschen unbequem, weil es geht um den Umgang mit unseren Kindern und vor allem um Gewalt im Umgang mit unseren Kindern: Wie und ob wir gewaltvoll sind, was bewusste Elternschaft bedeutet, bewusste Mutterschaft und was vor allem gewaltbewusste Mutterschaft oder Elternschaft bedeutet. Und ich mag euch meine Sichtweise darauf heute einfach mal mitgeben, was das für mich bedeutet und was es für mich und den Umgang mit meinen Kindern bedeutet und dass in diesem Moment, wo wir uns dessen bewusst werden, dass es ein Gewaltbewusstsein braucht in der Begleitung unserer Kinder, dass das ein unglaubliches Geschenk ist – ein unglaubliches Geschenk sein kann für die Beziehung zu unseren Kindern und für unsere Kinder insgesamt: für ihr eigenes Großwerden, für ihre emotionale Intelligenz, für ihre Resilienz, für ihr So-Sein. Und darüber mag ich hier heute mit euch sprechen.

Wie alles anfing

Ich habe in der letzten Folge darüber gesprochen, dass es für mich total wichtig war und einen großen Unterschied gemacht hat, im Umgang mit meinen Kindern authentisch zu sein, in dem, wie ich mit meinen Kindern bin. Und dadurch ist auch dieser gewaltbewusste, der bewusste Blick auf Erziehung entstanden und auf bindungs- und bedürfnisorientierte Begleitung von Kindern. Und dass das auch immer noch gar nicht so ganz ausreicht, um das ganze Ausmaß dessen überhaupt zu begreifen, was diesen Umgang ausmacht. Für mich war es super positiv, mich damit auseinanderzusetzen. Seit dieses Bewusstsein bei uns eingezogen ist, hat sich vieles sehr positiv verändert.

„Ich bin nicht gewaltvoll – oder?“

Eine Hörerin hat mir nach der letzten Folge gesagt: Gewaltbewusstsein – ich weiß gar nicht so richtig, was ich mit diesem Begriff anfangen soll, und es fühlt sich für mich irgendwie nicht richtig an. Na klar, ich erziehe mein Kind, aber natürlich nicht gewaltvoll, weil ich es ja nicht schlage. Und das ist eben oft dieses große Missverständnis: Wir denken, Gewalt in der Erziehung bedeutet, ich schlage mein Kind, ich schreie es an oder sperre es ein. Das sind die offensichtlichen, gewaltvollen Dinge, die hinter verschlossenen Türen passieren. Aber Gewalt ist viel mehr als nur das. Gewalt steckt meiner Meinung nach schon im Wort Erziehung. In dem Moment, wo ich sage „Ich erziehe mein Kind“, ist Gewalt mit im Spiel – auch wenn ich mein Kind niemals geschlagen habe und niemals schlagen werde. Unser Alltag ist ganz oft gewaltvoll. Manchmal geht es auch nicht anders – genau darum geht es hier heute.

Warum wir oft so handeln, wie wir handeln

Ganz oft ist es ja so, dass wir uns, bevor wir eigene Kinder bekommen, gar nicht so sehr überlegen, wie wir es machen wollen. Es passiert unterwegs: Wir haben plötzlich eine Situation, wissen nicht, wie wir damit umgehen sollen, und handeln dann so, wie wir geprägt sind. Viele nehmen sich vor, es anders zu machen als die eigenen Eltern. Und trotzdem – wenn uns eine Verhaltensweise triggert, reagieren wir doch „wie immer“. Zum Glück gibt es heute viele Ressourcen, Impulse und Menschen, die bewusst begleiten. Das heißt: Wir sind oft schon auf einem guten Weg und fragen nach Bedürfnissen – den der Kinder und unseren eigenen. Aber das Problem ist selten mangelndes Wissen. Es ist die Umsetzung. Wissen ins Tun zu bringen, alltagstauglich – das ist die Challenge.

Der Widerspruch: „Gewaltfrei erziehen“

Wir starten alle mit dem Vorsatz, alles richtig zu machen: bindungs- und bedürfnisorientiert, gewaltfrei. Der Widerspruch ist: „gewaltfrei erziehen“ funktioniert nicht, denn „Erziehung“ enthält Kontrolle. Erziehen bedeutet, ich möchte mein Kind in eine bestimmte Richtung entwickeln. Ich übe Druck aus, kontrolliere, manipuliere. Ich will, dass es bestimmte Dinge lernt oder lässt. Beispiel Zähneputzen: Ich verlange, dass zweimal täglich geputzt wird – aus Gründen. Schlafenszeiten, Medienzeiten, Schule, Ordnung: Alles Felder, in denen „man das so macht“. Der Punkt ist nicht, dass uns diese Themen egal sein sollen. Der Punkt ist das Wie.

Manipulation und Bedingungen sind auch Gewalt

Wenn ich sage: „Wenn du dein Zimmer nicht aufräumst, nehme ich dir das Handy weg“, ist das Manipulation – und das ist Gewalt. Oder: „Für jede Eins bekommst du 20 Euro, für jede Fünf gibt’s Handyverbot.“ Das ist Macht. Wir tun das, weil es „funktioniert“, weil die Gesellschaft es erwartet, weil die Großeltern es erwarten, weil wir Ruhe wollen. Es macht Sinn, sich zu fragen: Mache ich das für mein Kind? Für die Gesellschaft? Für mein eigenes Nervensystem? Für meinen inneren Haken auf der To-do-Liste?

Reflexionsfragen, die helfen

Hilfreich sind Fragen wie: Ist das respektvoll? Ist es ein Machtspiel? Mache ich das, damit es mir passt, damit Nachbarn/Schule zufrieden sind? Will ich mein eigenes Unwohlsein wegmachen? Würde ich gerade so auch mit meiner besten Freundin sprechen? Würde ich so mit meinem Partner reden? Wenn nein: Vielleicht darf ich mein Verhalten meinem Kind gegenüber ändern. Leichter gesagt als getan – und doch liegt genau hier der Einstieg.

Die Supermarkt-Szene

Ein ausgemachter Trotzanfall im Supermarkt: Das eigentliche Problem ist nicht das Kind, sondern die Blicke der anderen – unser Unwohlsein. „Hast du dein Kind nicht im Griff?“ Wir halten diesen Druck nicht aus und reagieren mit Abwertung, Ignorieren, Ziehen, Schimpfen. Nicht, weil wir böse sind, sondern weil es uns triggert. Auch das ist Gewalt: ignoriere, beschäme, drohe, stelle Bedingungen, kontrolliere. All das ist gesellschaftlich normalisiert, weil wir wollen, dass Kinder „funktionieren“.

Kinder brauchen keine Erziehung – sie brauchen Beziehung

Eigentlich brauchen Kinder Unterstützung im Sinne von: „Ich sehe dich, so wie du bist.“ Emotionen dürfen Raum haben. Und unser Job ist weniger, Verhalten zu formen, sondern Beziehung zu halten, damit Entwicklung von innen heraus passiert.

Emotionen begleiten – nicht unterdrücken

Ein großer Gamechanger für mich: Emotionen meiner Kinder nicht mehr wegzumachen. Nicht „Ist doch nicht so schlimm“, nicht „Beruhig dich“. Sondern: „Du bist traurig, ich sehe das. Das war blöd.“ „Du bist wütend, oder?“ Präsenz statt Reparaturanweisung. Raum halten statt kleinreden. Genau das ist gewaltbewusste Elternschaft.

Auch Babys brauchen diesen Raum

Das gilt auch für die Kleinsten. Babys brauchen Entlastungsweinen – um Spannung loszulassen. Ständiges „Stillen zum Beruhigen“, wenn es jedes Gefühl überdeckt, kann Gefühle unterdrücken. Natürlich: Erst Grundbedürfnisse checken (Hunger, Nähe, Temperatur, Windel). Sind die erfüllt und das Baby weint weiter, darf Weinen sein. Weinen reguliert. Weinen entlastet. Weinen heilt.

Emotionen sind Wegweiser

Oprah Winfrey sagt: „Emotions are your GPS for life.“ Genau so ist es. Emotionen zeigen, wo wir stehen, was wir brauchen, was gesehen werden will. Wenn wir unseren Kindern erlauben, ihre Emotionen zu leben, lernen sie sich selbst zu verstehen. Das ist ein Geschenk fürs Leben.

Es ist ein Weg (kein Perfektionsprojekt)

Gewaltbewusste Elternschaft ist kein Ziel, sondern ein Weg. Ein Weg, der Achtsamkeit braucht, Fehler erlaubt und Mitgefühl mit uns selbst einschließt. Wir dürfen scheitern. Wir dürfen laut werden. Wichtig ist, dass wir hinschauen, reflektieren und beim nächsten Mal ein kleines Stück anders handeln. Das ist Wachstum. Das ist Liebe. Und das ist die Form von Bewusstsein, die unsere Kinder wirklich stärkt.

Folge #3 – Gewaltbewusste Elternschaft – Was bedeutet das eigentlich?

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