Folge 4 - Projekt 365 ohne Alkohol

Ein Jahr, 365 Tage, kein einziger Schluck Alkohol – mein Projekt 365

Im Transkript mitlesen: 

Ein Jahr, 365 Tage, kein einziger Schluck Alkohol. Ich habe es durchgezogen, und heute mag ich dich mitnehmen und dir erzählen, was sich in meinem Körper verändert hat, was sich in meinem Kopf verändert hat, was sich in meinen Beziehungen verändert hat, was alles passiert ist – und was ich zum Teil wirklich nicht unbedingt erwartet hätte.

Du hast deine Kids relativ spät bekommen. Du hast keinen Bock auf Perfektionswahn. Du willst trotz Schlafmangel und dem alltäglichen Mental Overload trotzdem deine Themen angucken? Konflikte mit deinen Liebsten am allerliebsten immer friedvoll lösen und bei all dem auch noch den Wechseljahren den Mittelfinger zeigen? Yes, ich feier dich. Du bist hier sowas von richtig.

Ich bin fünfzig Jahre alt. Ich bin Mutter von drei Kindern. Ich bin alleinerziehend – oder alleinbegleitend, das sage ich lieber als erziehend – und ich hatte einfach keinen Bock mehr. Ich hatte keinen Bock mehr auf Alkohol in meinem Leben, und damit hatte ich auch, bedingt, keinen Bock mehr auf Alkohol im Leben meiner Kinder. Und darüber mag ich heute reden. Zum einen mag ich dir erzählen, warum ich die Entscheidung getroffen habe. Ich habe es genannt: Mein Projekt 365, also für dieses Projekt ein Jahr lang wirklich keinen Alkohol zu trinken – und was meine Learnings daraus sind.


Warum ich aufgehört habe, Alkohol zu trinken

Ich habe zwischendurch immer wieder Phasen gehabt, in denen ich keinen Alkohol getrunken habe, auch längere Zeiträume, aber ich habe zwischendurch immer mal wieder getrunken. Und irgendwann kam der Punkt, an dem ich mir die Frage stellen musste – eigentlich kam ich gar nicht mehr drumherum: Warum trinke ich eigentlich? Was sind die Gründe, warum ich Alkohol trinke? In welchen Situationen trinke ich Alkohol?

Ich habe versucht, mir diese Fragen wirklich ganz ehrlich zu beantworten. Das war nicht einfach, denn ehrlich zu sich selbst zu sein fällt oft schwer, weil es unbequem ist, weil es weh tut, weil es manchmal einfach eine harte Realität ist. Sich Dinge einzugestehen, die sich blöd anfühlen, macht keinen Spaß. Und alles, was sich blöd anfühlt, ist etwas, wovor unser Körper, unser Gehirn sich erstmal drücken möchte. Wir denken lieber nicht darüber nach, weil Veränderung unangenehm ist.

Aber genau das musste ich tun. Ich habe hingeschaut – und festgestellt, dass die Situationen, in denen ich Alkohol getrunken habe, die waren, in denen ich nicht fühlen wollte, was eigentlich gefühlt werden sollte. Ganz besonders, als der Vater meiner Kinder uns verlassen hat. Das war eine Situation, die bei mir ganz viele Themen hochgeholt hat, die mich sehr mit mir selbst konfrontiert hat. Das Leben hat mir das nicht umsonst so vor die Füße geworfen.

Und eine meiner besten Vermeidungsstrategien war: eine Flasche Wein aufmachen. Ein Glas Rotwein. Und bei dem Glas blieb es selten. Es war ein Nicht-Fühlen-Wollen, ein Betäuben-Wollen, der Versuch, eine Situation vermeintlich einfacher zu machen.

Der zweite Grund war dieser Belohnungsgedanke: „Ich gönn mir was.“ Wenn ich abends allein war mit den Kids, Haus, Garten, Katzen und allem, was dazugehört – dieser Alltag kann einfach arschanstrengend sein. Und wenn man dann abends auf die Couch fällt und denkt: „Wie habe ich das heute wieder hingekriegt?“, dann hat dieses „Ich mache mir eine Flasche Wein auf“ etwas von Belohnung.

Was natürlich absurd ist. Ich belohne mich mit einem Nervengift. Ich hatte zwischendurch auch wieder angefangen zu rauchen – und dachte, ich belohne mich, indem ich meine Lunge mit Nikotin schwärze. Wir gönnen uns etwas, indem wir Fast Food essen, also Dinge, die uns schaden, und nennen das „Selbstfürsorge“. Schon das ist ein Widerspruch in sich.

Aus dem einen Glas wurde dann oft eine halbe Flasche, eine ganze Flasche. Es wurde spät, weil ich dachte, „ach, ein Glas geht noch“. Und das hatte Folgen: Meine Kinder gingen später ins Bett, weil ich erst bereit war, das ganze Einschlafprozedere zu starten, wenn ich ein bestimmtes Level erreicht hatte. Dann wurde es spät, ich war genervt – eigentlich genervt von mir. Und das bekamen meine Kinder zu spüren. Ich habe meine eigene Unzufriedenheit an ihnen ausgelassen. Ich war genauso, wie ich nie sein wollte.

Das war der Punkt, an dem ich sagte: Das darf anders werden. Ich möchte das durchbrechen – für meine Kinder und für mich. Ich möchte ein Leben, das sich echt anfühlt. Ein Leben, das ich leben möchte – in Klarheit.


Was im Körper passiert, wenn man aufhört zu trinken

Wenn wir aufhören, Alkohol zu trinken, passiert viel im Körper. Die Leber regeneriert sich. Das bedeutet: Der Körper entgiftet wieder besser, und wir haben mehr Energie.

Der Schlaf wird besser. Das klingt paradox, weil viele sagen: „Ein Glas Wein hilft mir beim Einschlafen.“ Ja, das stimmt – man schläft vielleicht schneller ein –, aber die Schlafqualität leidet. Schon ein Bier oder ein Glas Wein verschlechtern die Schlafqualität. Wir haben weniger Tiefschlaf, wachen öfter auf. Und das merkt man am nächsten Tag.

Ohne Alkohol ist der Schlaf tiefer, erholsamer, stabiler. Wir wachen weniger auf, haben weniger Durst, müssen seltener zur Toilette.

Auch die Haut verändert sich: Sie wird klarer, frischer, weniger gerötet. Der Kreislauf stabilisiert sich, der Blutdruck wird gleichmäßiger, das Herz schlägt ruhiger.

Oft verliert man sogar Gewicht. Weil Alkohol im Körper in Zucker umgewandelt wird – und Zucker Heißhunger auslöst. Kein Alkohol bedeutet weniger Heißhunger.

Das Immunsystem stabilisiert sich, unter anderem, weil der Schlaf besser wird. Wir bekommen weniger Infekte, sind insgesamt widerstandsfähiger.

Und ganz wichtig – die Hormone. Gerade bei Frauen hat Alkohol großen Einfluss auf den Zyklus. Ohne Alkohol ist der Zyklus ausgeglichener, PMS-Symptome werden schwächer.

Und – das kennen viele – mit über 40 reichen manchmal schon ein oder zwei Gläser Wein, um sich am nächsten Tag zu fühlen wie früher nach einer durchzechten Nacht. Das liegt am Hormonchaos in den Wechseljahren. Da noch Alkohol draufzupacken ist wie Öl ins Feuer.


Der unterschätzte Gamechanger: Schlaf

Der größte Gamechanger war für mich der Schlaf. Ihr wisst ja, dass Schlaf sowieso mein Thema ist. Ich arbeite seit vielen Jahren rund um Schlaf, Schlafgesundheit, Chronobiologie. Ich dachte, mein Schlaf ist okay. Aber nach ein paar Wochen ohne Alkohol war da wirklich ein krasser Unterschied.

Morgens wirklich wach zu sein. Energie zu haben. Dieses Gefühl, ausgeschlafen zu sein, nicht mehr mit diesem leichten Nebel im Kopf aufzuwachen. Das war völlig neu.

Ich konnte abends besser in den Schlaf finden, weil ich meinem natürlichen Chronotyp folgte – also ins Bett ging, wenn mein Körper Müdigkeit signalisierte. Und ich wachte morgens auf, weil ich ausgeschlafen war, nicht, weil der Wecker klingelte. Dieses Gefühl, wirklich fertig zu sein mit Schlafen, war für mich unfassbar wohltuend.


Die mentale und emotionale Veränderung

Das, was mich aber wirklich überrascht hat – was für mich den größten Unterschied gemacht hat –, war die mentale, psychische Ebene. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Mir war klar, dass ich trinke, um nicht zu fühlen. Das hatte ja schon mit meiner emotionalen Welt zu tun. Aber ich habe mir eingeredet, dass ich die Kontrolle habe. Dass ich ja nicht abhängig bin. „Ab und zu mal ein Glas, das ist doch kein Problem.“

Doch – das war es. Ich darf mir heute eingestehen, dass das die klassische Rechtfertigung war. Alkohol macht nicht freier. Alkohol macht fremdbestimmt.

Was passiert, wenn wir trinken? Wir werden unklar im Denken. Wir verlieren Verbindung zu uns selbst. Wir fühlen uns nicht mehr. Wir fühlen unsere Emotionen nicht mehr. Wir wissen gar nicht mehr, was in uns los ist.

Alkohol betäubt Trigger. Aber das, was wir wegdrücken, verschwindet nicht. Es staut sich auf. Und irgendwann kommt es trotzdem wieder hoch.

Ohne Alkohol kam die Klarheit zurück. Kein Nebel mehr im Kopf. Ich konnte bewusster hinschauen, wenn etwas mich triggert. Ich konnte bewusster reagieren. Ich war weniger melancholisch, weniger in diesen Tiefs, die nach einem Trinkabend oft ein, zwei Tage anhielten.

Meine Stimmung stabilisierte sich. Mein Nervensystem beruhigte sich. Ich fühlte echter, intensiver. Ich spürte meine Trigger wieder – und das war unbequem, aber heilsam. Denn nur, wenn wir fühlen, können wir verstehen. Und nur, wenn wir verstehen, können wir etwas verändern.


Mehr Selbstbewusstsein – im eigentlichen Sinn

Durch das Nichttrinken stieg mein Selbstbewusstsein – aber nicht im Sinne von „Ich bin super!“, sondern im Sinne von: Ich wurde mir meines Selbst wieder bewusst. Ich kam wieder in Kontakt mit mir. Ich konnte mich wieder fühlen. Ich wurde fokussierter. Dinge, die ich mir vornahm, zog ich durch.

Wenn wir klar sind, wenn wir fokussiert sind, wenn wir Energie haben, können wir unsere Träume und Visionen umsetzen. Sonst bleiben sie Gedanken auf Papier.

Was ich dadurch gelernt habe: Ohne Alkohol fühle ich. Besser. Mehr. Ich kann mich nicht mehr betäuben. Das ist anstrengend, ja. Aber es macht mich wahrhaftiger. Ich habe gelernt, mich durch all meine Gefühle hindurchzufühlen. Das ist nicht esoterisch. Das ist brutal ehrlich. Und manchmal brutal schmerzhaft. Aber danach ist es einfach: geil.


Wie sich Beziehungen verändern

Natürlich verändert so eine Entscheidung auch das Soziale. Menschen reagieren darauf. Und sehr unterschiedlich.

Von „Wow, das hast du echt durchgezogen – ich könnte das nicht!“ bis zu „Wie lange willst du das jetzt machen? Doch nicht für immer, oder?“

Wenn man nicht trinkt, fällt man auf. Immer. Egal, wo man ist – es steht immer Alkohol auf dem Tisch. Und wenn man nicht mittrinkt, kommt sofort: „Hä, warum? Musst du noch fahren?“ oder „Bist du schwanger?“ (fragt mich heute keiner mehr, aber früher…).

Nicht zu trinken bringt einen ständig in die Rechtfertigung. Und das ist absurd, weil Trinken eigentlich die Ausnahme sein sollte, nicht das Nichttrinken.

Und ja – es gibt Freundschaften, die sich dadurch verändern oder enden. Manche Verbindungen basierten einfach auf gemeinsamem Trinken. Aber es entstehen neue. Echte. Tiefere. Klarere. Ehrlichere.

Denn wenn Alkohol nicht das verbindende Element ist, sind Gespräche anders. Begegnungen sind echter. Verbindung ist wahrhaftiger.

Und – was mich am meisten überrascht hat – manche Menschen fühlen sich angegriffen, wenn man sagt, dass man keinen Alkohol trinkt. Sie fangen an, sich zu rechtfertigen: „Ich trinke ja auch kaum.“ „Nur ab und zu.“ Das zeigt, wie sehr Alkohol gesellschaftlich verankert ist – und wie sehr er auch Scham triggert.


Warum ich bleibe: alkoholfrei

Das Jahr ist rum. Mein Projekt 365 ist abgeschlossen. Und ja – ich habe mich gefragt: Was jetzt? Bleibe ich alkoholfrei? Trinke ich wieder?

Die Antwort ist klar: Ich bleibe dabei. Ich habe in diesem Jahr so viel Lebensqualität gewonnen, dass ich keinen Grund sehe, zurückzugehen.

Kein Alkohol ist für mich ein Akt der Selbstverantwortung. Ein Akt des Respekts – mir selbst, meinem Körper und meinem Lebensweg gegenüber.

Ich lebe mit Kindern, die jetzt in einem Alter sind, in dem Alkohol spannend wird. Ich kenne das aus meiner Jugend. Und ich wünsche mir, dass sie bewusster mit Alkohol umgehen, als meine Generation das tat.

Wir wissen heute, dass Alkohol ein Nervengift ist. Dass er ungesund ist – auch in kleinen Mengen. Wir wissen das alles. Es mangelt nicht an Wissen. Es mangelt an Bewusstsein.

Und ich möchte meinen Kindern ein anderes Vorbild sein. Es gibt bei uns keinen Alkohol im Haus. Wenn gefeiert wird, bringe ich für Gäste natürlich etwas mit – klar. Aber ich selbst trinke nicht. Und das ist völlig okay. Ich stoße mit alkoholfreiem Bier oder Wasser an.


Nüchtern feiern – und genießen

Ich bin mittlerweile auch schon komplett nüchtern auf mehreren Festivals gewesen. Auf Partys. Und ja – das geht! Ich hätte früher nie gedacht, dass ich ohne Alkohol Spaß haben kann. Aber doch, kann ich.

Es ist unglaublich bereichernd, alles bewusst mitzuerleben. Die Musik, die Gespräche, die Menschen. Ich kann nachts um eins sagen: „Okay, ich hatte einen guten Abend. Ich gehe jetzt heim.“ Ich gehe ins Bett, wache am nächsten Tag ohne Kater auf – und das ist einfach nur geil.

Mein Plan ist aufgegangen. Auch wenn das gar nicht der Plan war. Ich wollte einfach nur ein Jahr ohne Alkohol schaffen. Jetzt ist daraus ein Lebensgefühl geworden.


Ein Plädoyer für Sober Parenting

Ich wünsche mir für unsere Gesellschaft, dass wir weniger Zwang zum Trinken spüren – bei Veranstaltungen, in Restaurants, im Alltag. Dass es normaler wird, alkoholfrei zu sein.

Und ich mag dich einladen, dir selbst die Frage zu stellen: Wofür nutzt du Alkohol? Was sind die Momente, in denen du trinkst? Wenn du Lust hast, dich damit auseinanderzusetzen – tu das. Wenn nicht, ist das auch völlig in Ordnung.

Aber vielleicht bist du neugierig – „sober curious“, wie man heute sagt. Sober Curious bedeutet, neugierig zu sein auf ein Leben ohne Alkohol. Nicht zwangsläufig abstinent, sondern bewusst fragend: Warum trinke ich eigentlich? Wie wäre mein Leben ohne Alkohol?

Und wenn du Eltern bist, dann ist da noch ein anderer Begriff, den ich liebe: Sober Parenting. Sober Parenting bedeutet, bewusst alkoholfrei zu erziehen. Eine Elternschaft in Klarheit, in Präsenz.

Es geht nicht darum, einfach nur „nicht betrunken“ zu sein. Es geht um bewusste, authentische Elternschaft. Um emotionale Verfügbarkeit. Um Verbindung statt Betäubung.

Sober Parenting ist eine Haltung. Ein Statement gegen gesellschaftliche Narrative wie „Eltern brauchen Alkohol, um zu überleben“ oder „Mama verdient sich abends ihr Glas Wein“. Es ist der bewusste Entschluss: Nein, das brauche ich nicht, um gut zu sein. Ich will echt sein. Verbunden. Wach.


Ich glaube, ich bin im letzten Jahr ein Sober Parent geworden. Ich lebe Sober Parenting – und es fühlt sich richtig gut an.

Wenn du jemanden kennst, der diese Folge braucht, teil sie gern. Wenn sie dich berührt hat, lass mir ein Like oder Kommentar da. Ich freue mich über jede Rückmeldung – ehrlich, echt, ohne Filter.

Ich wünsche dir Klarheit, Mut und ganz viel Neugier auf dich selbst.
Alles Liebe – deine Inga.


👉 Link zur Selbstreflexion:
Konsum-Selbsttest: Wie bewusst ist dein Umgang mit Alkohol?

Folge #4 – 365 Tage ohne Alkohol – was sich wirklich verändert

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